Medizin in der mittelalterlichen islamischen Welt

Die Medizin in der mittelalterlichen islamischen Welt beschreibt die Heilkunde des Mittelalters (etwa 600 bis 1492) im Nahen Osten, Nordafrika und Andalusien vom siebten bis zum dreizehnten Jahrhundert, wie sie vor allem in arabischer Sprache überliefert wurde[1] und deshalb auch als arabische Heilkunde bzw. arabische Medizin[2] bezeichnet wird. Sie beruht auf dem Wissen und den Vorstellungen der antiken griechisch-römischen und späteren byzantinischen Medizin, systematisierte, interpretierte und ergänzte diese zum Teil.[3][4]

Miniatur aus der Materia Medica des Dioskurides, 1229
Ausdehnung der islamischen Welt
  • unter Mohammed, 622–632
  • unter den ersten Kalifen, 632–661
  • zur Zeit der Umayyaden, 661–750
  • Der sich seit dem 7. Jahrhundert ausbreitende Islam erreichte bis zum Ende des betrachteten Zeitraums einen großen Teil der damals in Europa, Afrika und Asien bekannten Welt. In den verschiedenen Regionen der islamischen Welt entwickelten sich im Verlauf der Zeit unterschiedliche medizinische Traditionen oder Schulen. Arabisch als gemeinsame Sprache der islamisch geprägten Zivilisation wurde auch von jüdischen, christlichen und anderen Ärzten benutzt und kennzeichnet die Medizin des islamischen Kulturraums, die deshalb auch als „arabische“ oder „arabisch-persische“ sowie „arabisch-islamische“ Medizin oder Heilkunde bezeichnet wird.

    Die in arabischer Sprache aufgezeichnete Medizin der damaligen Zeit beeinflusste die Ärzte des westlichen Mittelalters,[5][6] die die Werke der klassischen griechisch-römischen, vor allem galenischen,[7] Medizin zunächst in arabischer Übersetzung kennenlernten. Die Vermittlung der arabischen Philosophie und Wissenschaft an das christliche Abendland erfolgte dabei häufig über jüdische Autoren.[8] Erst im 12. Jahrhundert wurden diese Schriften ins Lateinische übersetzt, die gemeinsame Sprache der westeuropäischen Wissenschaft.[9][10] Werke jüdischer und islamischer Ärzte, wie der den Kenntnisstand seiner Zeit zusammenfassende[11] Kanon der Medizin von Avicenna (980–1037), gehörten über Jahrhunderte zu den Standard-Lehrbüchern der Ärzte.[12]

    Die Autorität der mittelalterlichen Ärzte des islamischen Kulturkreises schwand erst im Zuge des Aufschwungs der naturwissenschaftlichen Forschung im Gefolge der Aufklärung. Ihre Gedanken zur Arzt-Patienten-Beziehung werden heute noch zitiert,[13] ihr Andenken wird auch von Ärzten der Neuzeit respektvoll gewahrt.[14]

    1. Dietrich Brandenburg: Priesterärzte und Heilkunst im alten Persien. J. Fink Verlag, Stuttgart 1969; hier zitiert: Sonderausgabe unter dem Titel Der Arzt in der Altpersischen Kultur. Robugen, Esslingen 1969, S. 104.
    2. Vgl. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 15–16 (Arabische Heilkunde).
    3. Eckart: Geschichte der Medizin. 1998, S. 101–103.
    4. Vgl. auch Heinrich Schipperges: Die Rezeption arabisch-griechischer Medizin und ihr Einfluß auf die abendländische Heilkunde. In: Peter Weimar (Hrsg.): Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert. Zürich 1981 (= Zürcher Hochschulschriften. Band 2), S. 173–191.
    5. Sami Harmaneh: Arabic medicine and its impact on teaching and practice of the healing arts in the West. In: Oriente e Occidente nel Medioevo: Filosofia e Scienze. Rom 1971 (= Accademia Nazionale dei Lincei. Fondazione Alessandro Volta. Atti dei Convegni 13: Convegno Internationale 9–15 Aprile 1969.) S. 395–429.
    6. Danielle Jacquart, Françoise Micheau: La médicine arabe et l’occident médiéval. 1990.
    7. Jorit Wintjes: Einführung. In: Konrad Goehl: Avicenna und seine Darstellung der Arzneiwirkungen. 2014, S. 5–27, hier: S. 19.
    8. Gotthard Strohmaier: Avicenna. Beck, München 1999, ISBN 3-406-41946-1, S. 109 und 135–139.
    9. Danielle Jacquart: The Influence of Arabic Medicine in the Medieval West. In: Régis Morelon, Roshdi Rashed (Hrsg.): Encyclopedia of the History of Arabic Science. Routledge, 1996, ISBN 0-415-12410-7, S. 963–84.
    10. vgl. auch Andreas Speer, Lydia Wegener (Hrsg.): Wissen über Grenzen. Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter. Berlin 2006 (= Miscellanea mediaevalia. Band 33).
    11. Jorit Wintjes: Einführung. 2014, S. 19.
    12. Eckart: Geschichte der Medizin. 1998, S. 103.
    13. Richard Colgan: Advice to the Healer: On the Art of Caring. Springer, Berlin, Heidelberg 2013, ISBN 978-1-4614-5169-3.
    14. Vgl. Friedrun R. Hau: Die Bildung des Arztes im islamischen Mittelalter. In: Clio medica. Band 13, 1979, S. 175–200.

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